Eine Liebeserklärung ans Sachbuch

Seit über fünfzehn Jahren schreibe ich Sachbücher, und noch immer spüre ich zu Beginn der Arbeit an einem neuen Werk dieses Kribbeln im Bauch, diesen eigenartigen Zauber – fast, als würde ich mich gerade frisch verlieben und das Dopamin die Kontrolle über meinen Körper übernehmen.

Da ist anfangs nichts außer einer vagen Idee, einer noch unbeantworteten Frage, einem unkonkreten Bild – und doch ahne ich schon, dass sich daraus eine Geschichte spinnen lässt, die weit über nackte Fakten hinausgehen und Menschen begeistern wird.

Ich beginne mit der Weiterentwicklung des Grundgedankens, die ich gerne mit der Errichtung eines Hauses vergleiche: Nachdem das Grundstück und Fundament der Verlag beigesteuert und damit die Entstehung des Projekts ermöglicht und finanziell abgesichert hat, ist mein erster Schritt der Bau des Gerüsts, bestehend aus einer noch provisorischen Inhaltsangabe und Stichworten zu den einzelnen Punkten – in dieser Phase nimmt der Inhalt bereits konkret Gestalt an. Es folgt die Errichtung der Wände, also der Aufbau der einzelnen Kapitel, abgestützt durch relevante Quellen und Sekundärliteratur (die zugleich Tür und Fenster darstellen und Einblick in die Hintergrundrecherche gewähren), damit das Konstrukt stabil bleibt. Das Dach soll dafür sorgen, dass der in mehrere Abschnitte gegliederte Text insgesamt rund und stimmig wirkt: Querverweise, Zusammenfassungen und Übergänge werden später die einzelnen Geschichten mit einem roten Faden zu einem harmonischen Ganzen verbinden. Damit ist die Bauphase abgeschlossen und es geht an die Innenausstattung: das Füllen mit relevanten, interessanten und fundierten Fakten – der wichtigste Teil bei der Erstellung des Sachbuchs. In etwa zur selben Zeit gibt es bereits Überlegungen zu Titel- und Covergestaltung, welche später die Fassade darstellen. Zuletzt folgen das Streichen, Polieren und Dekorieren: Formulierungen werden präzisiert, der Stil geschliffen, Tipp- und Schlampigkeitsfehler eliminiert – alles, damit das Bauwerk nicht nur stabil, sondern auch ästhetisch ansprechend und bereit ist, von interessierten Lesern erkundet zu werden.

Leider hört man immer noch viel zu oft, ein Sachbuch sei trockene Kost und nur etwas für Personen, die sich einem Thema analytisch nähern wollen. Sie erwarten dabei nicht, Spaß beim Lesen zu haben, sondern sind einzig und allein darauf aus sind, Daten und Fakten zu sammeln und sich dabei weiterzubilden. Doch ich behaupte, wenn ein Sachbuch packend erzählt ist, kann es genauso fesseln wie ein Roman – die Spannung entsteht dabei nicht beim Spurensuchen in einem erfundenen Mordfall oder Mitfiebern in einem fiktiven Liebesdrama, sondern bei der Erkundung wahrer Begebenheiten, die den Leser ebenso in ihren Bann ziehen können. Die besten Geschichten – ob aus der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft – finden sich nämlich in der Realität, auf unserer Erde, die uns mit ihrer Schönheit und ihren Geheimnissen jeden Tag aufs Neue fasziniert. Und was kann es Befriedigenderes geben, als all diese vergessenen oder übersehenen Schätze zu entdecken, zu erforschen und schriftlich für die Nachwelt festzuhalten?

Die Suche nach interessantem Material lässt mich fühlen wie Sherlock Holmes: Es werden Archive durchforstet, vergilbte Zeitungen studiert und Verdächtige … äh Zeitzeugen befragt. Und jeder Hinweis, jede Information bei dieser Jagd nach den besten thematisch passenden Fundstücken ist wie ein Mosaikstein, der sich in die Geschichte fügt und das Buch immer spannender macht.

Der Unterschied zu Belletristik liegt klar auf der Hand: Ein Roman darf sich frei erfinden, während sich ein Sachbuch den Tatsachen verpflichtet – hier müssen die Texte ohne Maske, ohne falsche Fährte, ohne Übertreibung auskommen, pur und echt sein.

Doch eigentlich sind die Gemeinsamkeiten viel bedeutsamer: Beide Genres fordern Ehrlichkeit – das eine in Bezug auf seine Figuren, das andere in Bezug auf die Wirklichkeit.

Und in beiden Fällen geht es darum, Menschen zu berühren – ein Sachbuch, das einfach nur informiert, schöpft sein Potenzial nicht voll aus. Die Sprache ist dabei ein wichtiges Werkzeug, weil es wichtig ist, die Worte so zu setzen, dass sie erzählen, nicht nur erklären, Bilder im Kopf entstehen lassen, Atmosphäre schaffen und Spannung erzeugen.

Das Eintauchen in andere Zeiten und Welten bei der unermüdlichen Materialsuche ist das Herzstück jeden neuen Werks. Manchmal führt mich eine Spur bei den Nachforschungen in eine völlig andere Richtung, als ich ursprünglich geplant hatte – und gerade darin liegt das Abenteuer. Stunden in Bibliotheken, Gespräche mit Menschen, die das betreffende Thema ebenso fasziniert wie mich, Besichtigungen vor Ort: All das fügt sich zu einem großen Ganzen, das schließlich unter den Fingern auf den Tasten meines Laptops Form annimmt. Und wenn dann beim Schreiben die Recherche und die Sprache ineinanderfließen, entsteht jener magische Moment, in dem Wissen zu einer Geschichte wird.

Obwohl ich inzwischen auch an Romanen arbeite, empfinde ich das Verfassen von Sachbüchern als ein großes Privileg. Es erlaubt mir, Fragen zu stellen, auf die ich selbst Antworten suche – und die Erkenntnisse mit anderen zu teilen.

Es freut mich immer sehr, wenn mir Leserinnen und Leser erzählen, dass sie durch eines meiner Bücher ihren Horizont erweitern konnten, ihre Umgebung mit anderen Augen betrachten oder ihre Faszination für historische Ereignisse entdeckt haben. Dann weiß ich: Die Mühe, die Suche, das Ringen um jedes Detail haben sich gelohnt.

Vielleicht ist das auch meine eigentliche „Liebeserklärung ans Sachbuch“: dass es sich um ein Genre handelt, das Neugier nährt, Staunen weckt, nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch Herz und Seele berührt. Es verbindet die Klarheit der Fakten mit der Schönheit der Sprache, die Strenge der Recherche mit der Freiheit des Erzählens.

Schreiben ist ein Abenteuer – egal, ob es sich um Geschichten handelt, die im Reich der Fantasie angesiedelt sind, oder in der realen Welt. Ich betrete jedes Mal aufs Neue unbekanntes Terrain, bewaffnet mit Neugier, Stift und Notizblock, um Wissen mit allen Sinnen zu erleben und die Leserin, den Leser, auf eine Reise durch Raum und Zeit mitzunehmen – wie es mir auch hoffentlich mit meinem neuesten Werk „Wien, Wien, nur du allein …“ gelungen ist.

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