Zwischen Tür und Tab – Web-Life-Balance und Social-Media-Detox
Kaum aufgewacht, greife ich morgens nicht als Erstes zum Kaffeehäferl, sondern zu meinem Handy. Noch im Bett überfliege ich die Reaktionen der Follower auf mein letztes Posting vom Abend davor und lese früh eingetroffene Nachrichten. Mein Tag beginnt im Netz – wie bei vielen anderen Kreativen auch.
Was als „schneller Check“ gedacht war, kann allerdings bis zu einer halben Stunde dauern. Spätestens dann holt mich mein Hund mit demonstrativem Unmut zurück in die Realität – empört darüber, dass ich einem leblosen Ding mehr Aufmerksamkeit schenke als ihm. Zum Glück habe ich keinen Mann neben mir liegen … ein vorwurfsvoller Blick reicht.
Nach der Raubtierfütterung und einer Mini-Gassirunde setze ich mich – jetzt endlich mit einer Tasse Kaffee, so viel Zeit muss sein – an den Schreibtisch und plane den Content für den Tag: eine Ankündigung für das nächste Mystery Dinner, ein atmosphärisches Bild vom alten Wien oder ein kleiner Teaser für das aktuelle Buchprojekt. Und ehe ich mich versehe, sind zwei weitere Stunden vergangen. Ohne einen Satz geschrieben zu haben.
Ich bin Autorin, was die meisten Menschen denken lässt, dass ich den ganzen Tag meine Finger über die Tasten fliegen lassen kann – beflügelt einzig von meiner Fantasie, unterfüttert mit in romantisch-verstaubten Bibliotheken erworbenem Wissen.
Aber die Realität im Jahr 2025 sieht komplexer aus, ist nüchtern und knallhart: In meinem Job als Selbstvermarkterin in einer Welt mit permanentem Input bin ich PR-Texterin, Social-Media-Managerin, Community-Betreuerin, Pressearbeiterin und Veranstaltungsplanerin in einer Person – um mich und meine Produkte auf dem Buchmarkt sowie in der Theaterszene effektiv zu platzieren und nachhaltig zu etablieren. Und was davon nicht in meiner Ideen- und Denkfabrik im Kopf abläuft, passiert fast ausschließlich online.
Denn Sichtbarkeit entsteht heute nicht mehr durch zufällige Ladenfunde oder Plakate auf Litfaßsäulen, sondern durch kontinuierliche Präsenz auf Online-Plattformen. Und da reicht es schon lange nicht mehr, ein neues Werk oder Stück einfach nur anzukündigen. Neben den Infos werden Gratis-Kostproben an die Fans und Follower verteilt, bestückt mit immer ausgefalleneren Bildern und Videos (die, by the way, auch erst einmal in einer virtuellen Bilddatenbank gefunden oder von der KI mithilfe eines ausgefeilten Prompts erstellt werden müssen), um Aufmerksamkeit zu generieren. Es gilt: Nur wer im Netz großflächig hochwertiges Schriftgut sät, wird Anerkennung ernten … und im Idealfall mehr Bücher oder Tickets verkaufen.
Ich liebe diesen digitalen Kontakt mit meinem Publikum, freue mich über jede Nachricht, in der mir Menschen schreiben, dass sie sich beispielsweise aufgrund einer meiner Geschichten als dem alten Wien an Details aus ihrer Kindheit erinnern. Viele berichten auch, dass sie dank eines meiner Buchprojekte, dokumentiert mit Fotos auf Facebook (z.B. Wiener Türen), mit wacherem Blick durch die Stadt gehen und viel mehr Details wahrnehmen als zuvor. Wieder andere bedanken sich, weil sie dank eines Posts von mir etwas dazulernen konnten, ich sie zum Nachdenken angeregt oder zum Schmunzeln gebracht habe.
Das Netz kann Brücken bauen, Nähe schaffen. Und dennoch ertappe ich mich immer wieder dabei, wie es mir auch etwas nimmt: nämlich Zeit. Und Fokus.
Also versuche ich, mich zwischen meinen Social-Media-Tätigkeiten auf die eigentliche Arbeit zu konzentrieren – das Schreiben. Doch dafür brauche ich Fakten, Hintergründe, historische Einzelheiten. Und so lande ich erneut im World Wide Web, stöbere in virtuellen Archiven oder blättere in digitalisierten alten Zeitungen. Diese Expeditionen in die Vergangenheit gehört zum Entwicklungsprozess meiner Geschichten. Aber wie mich der Weg in einer Bibliothek von Buch zu führt, leitet er mich online von Link zu Link, oft weiter als geplant. Wie ein Sog zieht mich die Suche immer weiter ins Netz. Verlaufen kann ich mich dabei zum Glück kaum – ein Segen für mich als navigatorischer Blindgänger –, da ich den virtuellen Raum lediglich wie einen nie enden wollenden Gang mit einer Vielzahl an Türen wahrnehme, von denen jede ruft: „Öffne mich!“ Und ich tue es. Immer wieder. Weil ich neugierig bin. Weil ich das Gefühlt hätte, etwas nicht zu entdecken oder zu erfahren und damit dem Leser meiner Bücher zu unterschlagen, wenn ich vorbeilaufe. Weil hinter jeder Tür DIE ganz besonders wichtige, überraschende oder unbekannte Information auf mich warten könnte, die ich dann niederschreiben und weiterverbreiten darf. Hier stimmt nicht nur die Web-Life-Balance nicht, es hapert sogar an der Web-Work-Balance!
Um nicht mehr so viel Zeit mit digitalen Identitäten und in virtuellen Gängen zu verbringen, versuche ich mittlerweile, mir Freiräume ohne WLAN zu schaffen. Zu Hause gelingt mir das nicht immer, daher erkunde ich, den Hund an der Leine, die Gegend – mit dem Ziel, nichts erfahren und nichts teilen zu müssen. Was nicht heißt, dass ich nicht etwas zufällig entdecken oder aufschnappen KANN, das ich später verarbeite. Kreativität braucht Inspiration – und die hole ich mir offline. Denn die besten Ideen entstehen nicht am Bildschirm, sondern im Kopf. Und die Geschichten, die ich in meinen Romanen erzählen möchte, passieren im echten Leben, nicht zwischen Pixel.
Web-Life-Balance und Social-Media-Detox ist kein Zustand, den man einmal erreicht und dann besitzt. Es ist ein tägliches Aushandeln: zwischen Präsenz und Rückzug, zwischen Interaktion und Introspektion. Und es ist okay, wenn das Pendel manchmal deutlich in nur eine Richtung ausschlägt. Wichtig ist, dass es zurückschwingt.
Wer schreibt, braucht nicht nur Input, sondern auch Leere. Stille. Raum. Und manchmal auch den Mut, einfach für einige Zeit offline zu sein.
Meine gedankliche To do-List:
1. Online-Zeiten und -Aktivitäten bewusster einplanen und gestalten, statt „nebenbei“ zu surfen.
2. Digitale Freiräume im Alltag schaffen: Laptop nicht gleich morgens einschalten, ohne Handy spazieren gehen oder Freunde treffen, in der U-Bahn oder beim Arzt Zeitung lesen statt scrollen, …
3. Alternativen für berufliche Ziele und Erfolge finden, die außerhalb des Internets stattfinden – Stichwort: Applaus statt Likes.
4. Zwischen Online- und Offline-Arbeit wechseln – zwischen virtueller und realer Kommunikation, zwischen dem Lesen am Bildschirm und in einem Buch, …
5. Verinnerlichen, dass man nicht jede Tür im Internet öffnen muss – so wie einem auch im echten Leben viele Türen verschlossen bleiben. Und das vermutlich aus gutem Grund.